Geschichte der Deutschen im heutigen Estland

Im Mittelalter gehörte das heutige estnische Staatsgebiet zum Herrschaftsbereich des Deutschen Ordens. Die Deutschbalten prägten ab dem späten 12. Jahrhundert als eingewanderte Oberschicht die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse im Baltikum nachhaltig. Auch nach der Auflösung des Ordensstaates im späten 16. Jahrhundert stellten sie unter schwedischer und russischer Herrschaft den Adel und den Großteil des Bürgertums auf dem Gebiet des heutigen Estlands. Im 18. Jahrhundert wurde das Baltikum russisch. Die Deutschbalten behielten ihre Privilegien. Fast das gesamte 19. Jahrhundert (1802 – 1893) bestand in Dorpat/Tartu eine deutschsprachige baltische Universität, die das deutsche Kulturleben in der Region prägte.

1918 erlangten Estland und Lettland ihre Unabhängigkeit.

Der Hitler-Stalin-Pakt (auch bekannt unter dem Namen Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt) erklärte aber schon 1939 die baltischen Staaten zur sowjetischen Interessensphäre und gliederte sie in die Sowjetunion ein. Die meisten Deutschbalten wurden im Herbst 1939 durch das nationalsozialistische Deutschland in die annektierten polnischen Gebiete wie dem Warthegau und Westpreußen umgesiedelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die wenigen verbliebenen Deutschbalten in die östlichen Teile der Sowjetunion deportiert, einige kehrten nach 1955 zurück. Der Gebrauch der deutschen Sprache war bis zum Systemwechsel verboten, ein deutschsprachiges Schul- und Vereinswesen existierte dementsprechend nicht.

Durch den Zerfall der Sowjetunion erlangten die baltischen Staaten 1990/91 erneut ihre Unabhängigkeit.

Estland heute

Die ersten deutschen Vereine in Estland entstanden im akademischen Umfeld. Im Dezember 1989 gründete Dr. Viktor Sieben, Dozent an der Universität Dorpat/Tartu, die Gesellschaft für Deutsche Kultur (inzwischen Verein der Deutschen Tartu). Diese vereinigte zahlreiche in Estland lebende Russlanddeutsche aus verschiedenen Gebieten der damaligen Sowjetunion, die zwischen 1958 und 1980 nach Estland gekommen waren.

Doch erst nach der Unabhängigkeitserklärung Estlands im August 1991 wurde es möglich, die Vereine auch amtlich zu registrieren. Die offizielle Gründung setzte den Anfang für eine enge Zusammenarbeit mit anderen Vereinen in Lettland, Russland und anderen europäischen Staaten, und vor allem in Deutschland, so u.a. mit dem Kirchlichen Dienst e.V aus Bayern oder dem Deutschbaltisch-Estnischen Förderverein.

Nach einer starken Abwanderung in den 1990er Jahren leben heute nach Angaben des Auswärtigen Amtes noch etwa 900 Deutsche in ganz Estland, die in lokalen Vereinen wie z.B. Wiedergeburt in Sillamäggi/Sillamäe oder Harmonie in Narwa/Narva organisiert sind. Die lokalen Vereine sind wiederum Mitglieder des Dachverbands Verein der Deutschen Estlands e.V..

Die Aktivitäten der deutschen Minderheit in Estland werden zudem durch das Deutsche Kulturinstitut Dorpat/Tartu, das Goethe-Institut, die Stiftung Domus Dorpatensis, die Deutsche Botschaft und die Universität Tartu unterstützt.

Worte und Dinge - Das Deutsche Kulturinstitut Tartu

Das 1992 gegründete Deutsche Kulturinstitut Tartu (DKI) feiert im November 2017 seinen 25. Geburtstag. Hauptanliegen des DKI ist es, über Sprachkurse und Seminare für Deutschlehrer die Verbreitung der deutschen Sprache zu fördern.

2012 startete das Projekt „Deutsch in meinem Leben“, bei dem Beiträge gesammelt wurden, welche die persönliche Verbindungen zur deutschen Sprache sowie zu Land und Leuten thematisieren. Aufgenommen wurden nicht nur Textbeiträge, sondern auch Objekte und Gegenstände, welche die veränderte Perspektive auf die Deutschbalten veranschaulichen.

Deutscher Frühling

Seit 2010 wird die Vielfalt deutsch-estnischer Beziehungen in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung und Kultur im Rahmen der Veranstaltungsreihe Deutscher Frühling präsentiert. Ziel ist die Präsentation Deutschlands als interessantes, kreatives, modernes und vielseitiges Land. Die deutschestnischen Beziehungen sind beispielhaft für ein gemeinschaftliches, zukunftsorientiertes Europa.

Mit der Werbung für die deutsche Sprache über Debattierwettbewerbe oder deutsche Filmfestivals, Schülerprojekte und Lesungen wird ein überwiegend junges Publikum angesprochen. Des Weiteren finden Vorträge über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen statt. Konzerte, Ausstellungen und Theatervorführungen runden die Veranstaltungsreihe ab. Zudem zeichnet die Deutsch-Baltische Handelskammer jährlich estnische Unternehmen im Bereich Wirtschaft und Wissenschaft aus. In den vergangenen Jahren waren Baden-Württemberg, Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen als deutsche Partnerländer beim Deutschen Frühling in Estland vertreten.