Geschichte der Deutschen im heutigen Ungarn

Nach der ungarischen Staatsgründung im späten 10. Jahrhundert ließen sich Deutsche als Gäste (hospites) in größerer Zahl im Karpatenbecken nieder. Vor allem kamen Ritter, Priester, Mönche und Bauern nach Ungarn. Diese spielten eine bedeutende Rolle bei der um die Jahrtausendwende begonnenen Christianisierung Ungarns sowie im militärischen, politischen, und wirtschaftlichen Leben des Landes.

Im Laufe des 14. bis 16. Jahrhunderts erlebten die Städte des Ungarischen Königreiches eine starke wirtschaftliche Entwicklung. Diese betraf in erster Linie die sächsischen Städte des heute in Rumänien liegenden Siebenbürgens und der heute slowakischen Zips/Spiš, aber auch die von vielen Deutschen bewohnten innerungarischen Städte und Marktflecken.

Nach der militärischen Verdrängung der osmanischen Besatzung aus Ungarn ab 1683 siedelten die österreichische Hofkammer, in drei großen „Schwabenzügen“, systematisch deutschsprachige Bauern und Handwerker vor allem aus den südlichen und westlichen Regionen des Deutschen Reichs (Schwaben, Hessen, Pfalz, Bayern, Franken) in zum Teil wenig bevölkerten Gebieten an. Die deutschen Siedler trugen maßgeblich zur Modernisierung der Landwirtschaft sowie zur Entwicklung des Handwerks und der Industrie in Ungarn bei.

Ende des 18. Jahrhunderts betrug die Zahl der Deutschen im damaligen Ungarn mehr als eine Million. In Ofen/Buda, Pest, Ödenburg/Sopron oder Fünfkirchen/Pécs entstand ein blühendes deutschsprachiges Kulturleben.

Mit der Auflösung der Österreichisch–Ungarischen Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg musste Ungarn mehr als zwei Drittel seines Territoriums an Rumänien, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Österreich abtreten. Waren im Jahr 1910 etwa zehn Prozent der 19 Millionen Bewohner Ungarns deutscher Abstammung, reduzierte sich ihre Zahl nach den Grenzziehungen auf 550.000. Von 1945 bis 1948 wurde etwa die Hälfte der Deutschen aus Ungarn vertrieben. Im kommunistischen Einparteienstaat versuchte der 1955 gegründete Verband der Ungarndeutschen mit Sprach- und Kulturarbeit in dem von der kommunistischen Partei erlaubten Rahmen tätig zu werden. Seit Ende der sechziger Jahre gab es hierfür auch wieder mehr Freiräume.

Im heutigen Ungarn sind es vor allem vier Gebiete, in denen Deutsche als Minderheit leben: in West-Ungarn entlang der österreichischen Grenze, im Großraum Budapest, im Ungarischen Mittelgebirge bis zum Plattensee/Balaton und in Süd-Ungarn in der sogenannten Schwäbischen Türkei mit dem Zentrum Fünfkirchen/Pécs.

Ungarn heute

Die deutsche Volksgruppe ist die zweitgrößte nationale Minderheit in Ungarn. Ihre Mitglieder werden oft verallgemeinernd als „Schwaben“ bezeichnet, wenn auch längst nicht alle diese Herkunft besitzen. Der Großteil der Vorfahren der heutigen Ungarndeutschen stammt aus den mitteldeutschen und süddeutschen Regionen, ihre Dialekte sind oft sogenannte Mischmundarten.

Die deutsche Minderheit in Ungarn umfasst nach Angaben des Auswärtigen Amtes schätzungsweise 186.000 Personen. Etwa 30.000 bis 40.000 von ihnen bekannten sich bei der Volkszählung als Deutschmuttersprachler.

Die geringere Zahl der Muttersprachler ist unter anderem auf das Verbot des Gebrauchs und Unterrichts der deutschen Sprache von 1945 bis Ende der 1950er Jahre und der damit verbundenen generationsbedingten Lücke in der Weitergabe der Sprache zurückzuführen.

„Strategisch denken, nachhaltig handeln“ – unter diesem Motto formulierte die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) das Leitbild ihrer Aktivitäten bis 2020. Dazu zählen auf kultureller Ebene die Bewahrung und Pflege der deutschen Muttersprache, die Förderung des deutschen Minderheitenunterrichts im ungarischen Schulwesen und der Austausch mit Deutschland in Form von Partnerschaften und Programmen. Ein Ziel der LdU ist, mit der Übernahme von ungarndeutschen Institutionen in eigene Trägerschaft die kulturelle Autonomie zu stärken.

Auch das Ungarndeutsche Kultur- und Informationszentrum (www.zentrum.hu) sammelt und vermittelt seit 2004 die für die deutsche Minderheit in Ungarn relevanten Informationen in den Bereichen Gesellschaft, Bildung, Kultur und Ökonomie, auch über die Grenzen Ungarns hinaus.

Vorhang auf -  Die Deutsche Bühne Ungarn

Die Deutsche Bühne Ungarn in Sechshard/Szekszárd ist das einzige professionelle deutschsprachige Theater Ungarns. Sie logiert in einem ehemaligen Kino, das im Stil der Secession erbaut wurde. Das Theater versteht sich als ein Ort der Diskussion und Verständigung zwischen der deutschen Nationalität und der ungarischen Mehrheitsbevölkerung. Eine wählbare Simultanübersetzung während der Vorstellungen ermöglicht auch dem nichtdeutschsprachigen Publikum das Theatererlebnis. Der Fokus des Repertoires liegt vor allem auf deutschsprachiger Klassik und zeitgenössischer Dramenliteratur. Zum festen Programm gehören ebenso Kinder- und Jugendstücke, Tragödien, Komödien, ferner Musical- und Kabarett-Abende. Durch Gedenkveranstaltungen (z.B. für die ungarndeutsche Dichterin Valeria Koch) und Gastspiele in allen Regionen Ungarns erreicht die Deutsche Bühne Ungarn in besonderem Maße die deutsche Minderheit.

Was empfinden Sie an sich selbst als „deutsch“ im täglichen Leben?

„Die deutsche Sprache macht mir Spaß. Ich sammle gern Gegenstände, die unsere Vorfahren benutzt haben. Besonders gefallen mir die alten deutschsprachigen Heiligenbilder oder Gebetsbücher. Wenn ich Blasmusik höre, wird meine Laune immer besser. Besonders berühren mich die alten deutschen Marienlieder in der Kirche, viel mehr als die ungarischen. Wenn wir deutsche Wallfahrten haben, genieße ich das Zusammengehörigkeitsgefühl.“

Maria, Deutschlehrerin, Wudigeß/Budakeszi, Ungarn

Filmfestivals und Fotowettbewerbe

Das jährliche Filmfest Abgedreht! wurde im Jahre 2006 vom Ungarndeutschen Kultur- und Informationszentrum gestartet. Es ist Filmfestival und Wettbewerb für Jugendliche zugleich. Es können Kurzfilme zu ungarndeutschen Themen eingereicht werden. Die maximal zehnminütigen Filme werden von einer Jury ausgepreist; an einem Tag werden dann im Kino Művész in Budapest alle Filme gezeigt. Seit 2008 wurde im Rahmen des Festivals für junge Filmemacher die Kategorie U35sec (Unter 35 Sekunden – Unter 35 Jahre) ausgeschrieben, ebenfalls mit dem Ziel, ungarndeutsches Leben in der Form eines Spots vorzustellen.

Der Fotowettbewerb Blickpunkt ist ein Online-Fotowettbewerb, der seit 2008 veranstaltet wird. Teilnehmen können Profi- und Amateurfotografen in den Kategorien Foto, Archivbild und Postkarte. Das Ergebnis ist anschließend im Jahreslauf als Wanderausstellung in vielen Kultureinrichtungen zu sehen.

TrachtTag - Deutschungarische Folkloregruppen

Die Vielfalt der ungarndeutschen Tanz- und Folkloregruppen ist groß. Zahlreich sind ihre Übungswochen, Volkstanzwettbewerbe und Festivals. Der Landesrat der ungarndeutschen Chöre, Kapellen und Tanzgruppen organisiert im Rotationssystem jedes Jahr ein Festival mit Vorentscheiden für Jugend- und Erwachsenengruppen. Die besten Vorstellungen werden auf der jährlich zu Jahresbeginn veranstalteten zentralen Landesgala der Ungarndeutschen gezeigt.
Der TrachtTag, zu dem jährlich vom Ungarndeutschen Kultur- und Informationszentrum aufgerufen wird, erfreut sich landesweiter Beliebtheit, auch bei Ungarndeutschen, die nicht im Verband organisiert sind. Schulen, Kindergärten, Vereine, gesamte Wohnsiedlungen, Betriebe und Büros wie auch Einzelpersonen tragen an diesem Wochentag mindestens ein Kleidungsstück oder Accessoire ihrer Tracht und kombinieren dies mit der Alltagskleidung. Die lustigen und kreativen Bilder und Videos von Gruppenaufstellungen, Einzelmotiven und Flashmobs werden eingesandt und auf der Netzplattform TrachtTag veröffentlicht. Die Erinnerung an die Vorfahren wird damit unmittelbar lebendig.