Geschichte der Deutschen in der heutigen Tschechischen Republik

Im Zuge vielfältiger europäischer Siedlungsströmungen im 12. und 13. Jahrhundert zogen deutschsprachige Siedler aus Bayern, Franken, Sachsen, Schlesien und Österreich zumeist an die Ränder Böhmens und Mährens. Sie waren aber auch in zentralen Orten im Landesinnern (Prag/Praha, Brünn/Brno, Pilsen/Plzeň, Iglau/Jihlava u. a.) als bedeutende städtische Minderheiten vertreten.

Ein geschlossenes deutschböhmisches Bewusstsein war jedoch meist nicht verbreitet. Die deutschsprachige Bevölkerung sah sich lieber als Böhmen, Mährer oder Schlesier. Mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 setzte sich der Sammelbegriff „Sudetendeutsche“ für die inzwischen über drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern durch, die zu einer nationalen Minderheit mit weitgehenden Autonomierechten wurden. Viele von ihnen gerieten in den 1920er und 1930er Jahren unter den Einfluss der deutschen Volkstumspolitik. Infolge des Münchner Abkommens 1938 wurden die deutschsprachigen Gebiete vom Deutschen Reich annektiert und den Sudetendeutschen die Staatsbürgerschaft des Deutschen Reichs zuerkannt. 1939 erfolgte die deutsche Besetzung des restlichen Staatsgebiets, begleitet von massiven Repressionsmaßnahmen gegenüber der tschechischen Bevölkerungsmehrheit. Auf der Potsdamer Konferenz 1945 setzte die tschechoslowakische Regierung die Vertreibung der Mehrheit der Deutschen durch. Nur ca. 250.000 Deutschstämmige durften in ihrer Heimat bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen in der damaligen Tschechoslowakei einem starken Anpassungsdruck unterworfen, sodass sich insbesondere jüngere Angehörige dieser Minderheit häufig innerhalb der tschechischen Mehrheitsbevölkerung des Landes assimilierten.

Geschichte der Deutschen in der Tschechischen Republik

Tschechische Republik heute

Die deutsche Minderheit in Tschechien besteht vor allem aus Nachfahren der nach dem Zweiten Weltkrieg in der damaligen Tschechoslowakei verbliebenen Deutschböhmen, Deutschmährer und deutschen Schlesier.

Heute leben sie im Norden und Westen Böhmens sowie in den Regionen Aussig/Ústecký kraj und Karlsbad/Karlovarský kraj. Knapp 19.000 Staatsbürger der Tschechischen Republik bekennen sich zur deutschen Minderheit, zugleich besitzen etwa 21.000 zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die größte Selbstorganisation der deutschen Minderheit in Tschechien, mit 23 Mitgliedsorganisationen, 15 Begegnungszentren und rund 7.500 Mitgliedern, ist die Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik e.V. Ihr folgt der Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität in der Tschechischen Republik mit etwa 1.300 Mitgliedern.

Die Ortsverbände und Begegnungszentren sind von besonderer Bedeutung für die Minderheit, da sie sich vor allem hier verwirklichen kann. Hier werden Traditionen und Bräuche gepflegt, es finden kulturelle Veranstaltungen, Seminare, Workshops und Sprachkurse statt.

Die Ortsverbände und Begegnungsstätten sind nicht nur Zentren der deutschen Traditions- und Kulturpflege, hier finden auch Begegnungen mit tschechischen Bürgern statt, die an den deutsch-tschechischen Beziehungen interessiert sind. Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen

Akteuren in der tschechischen Mehrheitsgesellschaft ist ein erklärtes Ziel der Landesversammlung. Die deutsche Minderheit ist in Tschechien anerkannt und im Regierungsrat für nationale  Minderheiten vertreten.

Was empfinden Sie an sich selbst als „deutsch“ im täglichen Leben?

„Wenn man etwas mitteilen will, dann spricht man hochdeutsch. Daneben gibt es auch einen zwischenmenschlichen Aspekt - wie man mit der Mutter spricht, mit dem Vater, wie man etwas Emotionales ausdrücken will – dazu dienen die Muttersprache und Dialekte.“

Martin Dzingel, Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik (LV), geb. 1975, Prag/Praha, Tschechische Republik (zit. aus Christoph Bergner/Hans Zehetmair (Hrsg.))

Mundarten und Dialekte

Nach der Vertreibung der Deutschen ab 1945 verschwand die deutsche Sprache mitsamt ihren Mundarten aus dem öffentlichen Leben; sie wurde nur in der älteren Generation bewahrt. Mit dem Projekt mundArt hat die Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik e.V. (LV) ein exemplarisches Archiv für die verschiedenen Mundarten und Dialekte der Angehörigen der deutschen Minderheit angelegt.

Medienvielfalt

Das wichtigste Medienorgan der deutschen Minderheit ist das deutschsprachige, monatlich in Magazinform erscheinende LandesEcho (ehemalige LandesZeitung). Es versteht sich als Medium des deutsch-tschechischen Dialogs. Eine weitere deutschsprachige Publikation ist die online erscheinende Prager Zeitung. Hörfunksendungen in deutscher Sprache produzieren Radio Prag, die Regionalstudios von Český rozhlas für Olmütz/Olomouc und die Region Mittelböhmen/Středočeský kraj sowie „Hallo Radio Hultschin“.

Zweisprachig - Schulen in Tschechien

Eine wichtige Funktion bei der Wiederbelebung der deutschen Sprache haben die deutsch- tschechischen Bildungseinrichtungen, die von der Landesversammlung gefördert werden, wie die Grundschule der deutschtschechischen Verständigung und das zweisprachige Thomas-Mann-Gymnasium in Prag/Praha.

Auch existiert mit der Deutschen Schule Prag (DSP) eine mit dem Prädikat „Exzellente Deutsche Auslandsschule“ ausgezeichnete Institution. Sie ging nach der Wende als erste deutsche Auslandsschule in Tschechien aus der ehemaligen Botschaftsschule der DDR hervor.