Geschichte der Deutschen im heutigen Rumänien
Die deutsche Minderheit in Rumänien setzt sich aus mehreren Gemeinschaften zusammen, die hinsichtlich ihrer Abstammung, Sprache und kulturellen Merkmale zum deutschen Sprach- und Kulturraum gehören. Die ursprünglichen Siedlergruppen stammen aus verschiedenen Regionen der deutschsprachigen Länder, wanderten in unterschiedlichen Jahrhunderten in Herrschafts- und Staatsgebiete ein, die heute Rumänien bilden, und wurden dort zu Gemeinschaften, die sich jedoch weiterhin hinsichtlich der Konfessionen, Dialekte und des Brauchtums unterscheiden. Erst als Folge des Ersten Weltkrieges leben diese Gemeinschaften als Minderheit in demselben Staat zusammen und betrachten sich als zusammengehörig.
Im Gebiet des heutigen Rumäniens ließen sich im 12. Jahrhundert im Ostteil des ungarischen Königsreiches die ersten Siedler aus dem Rhein-Mosel-Raum nieder.
Die meisten Siedlungsgebiete dieser kulturell und konfessionell überaus heterogenen deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen wurden Rumänien erst durch die Pariser Vorortverträge 1919/20 zugesprochen.
Als Folge des Hitler-Stalin-Paktes 1939 (auch bekannt als Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt) wurden tausende Deutsche aus den Gebieten im damaligen Ostrumänien ins Deutsche Reich umgesiedelt. Im Rumänien der Zwischenkriegszeit zählte die deutsche Minderheit rund 750.000 Mitglieder. Im Januar 1945 wurden etwa 70.000 Personen deutscher Volkszugehörigkeit in die Sowjetunion deportiert, um dort bis zu fünf Jahre lang Zwangsarbeit zu leisten.
Die Zahl der Rumäniendeutschen, die seit 1950 in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt sind, lag Ende 1999 bei etwa 430.000. Danach emigrierten kaum noch Deutsche aus Rumänien nach Deutschland. Heute leben die meisten Rumäniendeutschen in den Regionen um Temeswar/Timişoara, in und um Hermannstadt/Sibiu und Sathmar/Satu Mare.
Rumänien heute
Zur deutschen Minderheit in Rumänien bekannten sich 2011 nur noch knapp 40.000 Bürgerinnen und Bürger. Sie verfügt im gesamten Land über kulturelle, gesellschaftliche und politische Strukturen sowie soziale Einrichtungen, die größtenteils nach der politischen Wende 1989 wiedergegründet wurden. Die politische Vertretung der deutschen Minderheit, das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) nimmt an den Wahlen teil, stellt Kommunal-, Stadt- und Kreisräte sowie Bürgermeister und einen Abgeordneten im rumänischen Parlament, die ihre Interessen vertreten. Lokal- und Regionalforen des DFDR garantieren eine gute Basisarbeit.
Im Stadtrat von Hermannstadt/Sibiu stellt die deutsche Minderheit die Mehrheit. Deren Repräsentant Klaus Johannis, seit 2000 Bürgermeister von Hermannstadt/Sibiu und seit 2014 Staatspräsident, setzte ein Signal für die Wahrnehmung der deutschen Minderheit.
In Rumänien existieren zwei Theater in deutscher Sprache – das Deutsche Staatstheater Temeswar/Timişoara und die deutsche Abteilung des Theaters in Hermannstadt/Sibiu. Jährlich erscheinen rund 60 Bücher, die von Seiten des DFDR gefördert werden. Brauchtumsfeste und andere kulturelle Veranstaltungen und Angebote werden heute von der Mehrheitsbevölkerung genauso gern besucht wie von den Mitgliedern der deutschen Minderheit.
Das umfangreiche und mannigfaltige Kulturerbe – mittelalterliche Stadtkerne, historisch gewachsene Dorflandschaften, Kirchenburgen und barocke Kirchen, Museen, Bibliotheken und Archive – wird touristisch genutzt, auch um die Mittel für den Erhalt desselbigen mit aufbringen zu können.
Notwendig war die Neugründung sozialer Einrichtungen anstelle der in der kommunistischen Zeit aufgelösten, vor allem, weil die Auswanderung der meisten Rumäniendeutschen zur Vereinsamung vieler alter Menschen geführt hat, die ihre Heimat nicht verlassen wollten bzw. konnten. In Zusammenarbeit mit den Kirchen, aber auch Vereinen und Stiftungen wurden Alten- und Pflegeheime gegründet sowie Hilfsdienste für alte, bedürftige oder behinderte Menschen eingerichtet.
Besuch der deutschen und rumänischen Präsidenten Joachim Gauck und Klaus Johannis in der Kirchenburg Heltau/Cisnădie. Die Präsidenten sind Schirmherren der Stiftung Kirchenburgen in Hermannstadt/Sibiu, die sich für den Erhalt des kirchlichen Kulturerbse einsetzt. Dazu gehören Restaurierungsmaßnahmen, Bildungsprogramme und Fachtourismus.
© Demokratisches Forum der Deutschen, 2016
Bekannte Gesichter
Stefan Walter Hell (*23. Dezember 1962 in Arad, Banat, Rumänien) ist ein rumäniendeutscher Physiker und Hochschullehrer. Er wuchs im mehrheitlich deutschsprachigen Dorf Sanktanna/Sântana auf. In Temesvar/Timişoara besuchte er das deutsche Nikolaus-Lenau-Lyzeum, in welchem Herta Müller Anfang der 1980er als Lehrerin tätig war. 1978 siedelt die Familie nach Deutschland über.
Seit 2002 ist er Direktor für biophysikalische Chemie am Max-Planck-Institut in Göttingen.
Für seine Arbeit zur Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie wurde ihm 2014 gemeinsam mit Eric Betzig und William Moerner der Nobelpreis für Chemie verliehen.
Herta Müller (*17. August 1953 in Nitzkydorf/Nițchidorf, Banat, Rumänien) wuchs als Tochter von Banater Schwaben in einem deutschsprachigen Dorf in der Region Temeswar/Timișoara auf.
1987 reiste sie aufgrund von Repression und einem Publikationsverbot durch den rumänischen Geheimdienst Securitate nach Berlin aus. In Werken wie Niederungen (1982), Reisende auf einem Bein (1989), Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992) oder Atemschaukel (2009), setzt sie sich u.a. mit persönlichen Erfahrungen und Folgen des kommunistischen Regimes unter Nicolae Ceaușescu auseinander. Für ihr Gesamtwerk erhielt sie 2009 den Nobelpreis für Literatur.
Peter Maffay (*30. August 1949 in Kronstadt/Brașov, Volksrepublik Rumänien) ist ein deutscher Musiker und Produzent aus einer siebenbürgisch-sächsisch und ungarndeutschen Familie. Erste musikalische Schritte machte er kurz nach der Umsiedlung der Familie 1963 nach Deutschland mit seiner ersten Band The Beat Boys. Zunächst Schlagersänger, entwickelte er sich in den 1980er Jahren zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen (Blues-)Rock- und Popmusiker.
Sein soziales Engagement u.a. für Kinder in Not zeigt sich beispielsweise in der Märchen- und Zeichentrickfigur Tabaluga, die er gemeinsam mit Rolf Zuckowski und Gregor Rottschalk und verschiedenen angegliederten Stiftungen erdachte. 2015 wurde Peter Maffay zum Ehrenbürger und Kulturbotschafter der Stadt Kronstadt/Brașov ernannt.
Welche Veränderungen bemerken Sie in Ihrem Sprachgebrauch innerhalb der Familie und generationenübergreifend?
„Mit meinem Bruder spreche ich Hochdeutsch, mit meinem Vater Schwäbisch und mit meiner Mutter Rumänisch. Wo meine Großmutter im Dialekt ein spezifisches Wort benutzt hätte, habe ich bemerkt, dass ich lieber das Wort aus dem Hochdeutschen adaptiere. Zum Beispiel würde ich ‚Regaschirm‘ sagen, wo sie ‚Parasol‘ gesagt hätte.“
Nathalie, geb. 1988, Arad, Rumänien
Deutsche Vielfalt - Wurzeln und Dialekte
Die deutsche Minderheit in Rumänien zeichnet sich durch eine große Vielfalt an Untergruppen aus. Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Sathmarschwaben, Landler, Deutsche Süd- und Ostrumäniens (so genannte „Altreichdeutsche“), Zipser, Bergland-, Buchenland- und Dobrudschadeutsche zogen aus den verschiedensten deutschsprachigen Gebieten und zu unterschiedlichen Zeiten in Siedlungsgebiete im heutigen Rumänien.
Aus der lateinischen Sammelbenennung Saxones entstand der Name Siebenbürger Sachsen für die ersten deutschsprachigen Siedler, die sich im 12. Jahrhundert in Siebenbürgen niederließen. Der größte Zuzug an Siedlern aus Regionen im Westen und Süden des heutigen Deutschlands erfolgte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in die Banater Ebene. Diese Siedler tragen den Namen Banater Schwaben. Neben diesen beiden größten Gruppen existieren in Rumänien kleinere deutschsprachige Gruppen mit eigener Kultur und Tradition. Die Pflege der regionalen Dialekte, des Brauchtums und der musikalischen Traditionen erfährt nach der vermehrten Auswanderung in den 1980er und 1990er Jahren eine Wiederbelebung und ist eine Besonderheit im neuen Europa.
Echo und Akzente - Deutschsprachige Medien
Die Allgemeine Deutsche Zeitung (ADZ) ist die Tageszeitung der deutschen Minderheit in Rumänien, die Nachfolgerin der 1949 gegründeten Tageszeitung Neuer Weg. Sie erscheint seit 1993 täglich außer sonntags und montags und ist die einzige deutsche Tageszeitung in Osteuropa. Wochenbeilagen sind die Banater Zeitung und die Karpatenrundschau. Neben der Printausgabe betreibt die ADZ einen umfangreichen Auftritt im Internet. Herausgeber ist das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien.
Als Printmedien haben auch die Hermannstädter Zeitung (1968 gegründet) und die ehrenamtlich erstellte Monatsschrift Echo der Vortragsreihe Bedeutung.
Wird von dem Großteil der Minderheit Deutsch als Muttersprache gesprochen?
„Deutsch wird als Muttersprache bei den Siebenbürger Sachsen und den Banater Schwaben – oft als Dialekt – gesprochen, von den Sathmarer Schwaben wird allerdings Ungarisch als Muttersprache gesprochen. Ob Deutsch als Muttersprache verwendet wird, hängt andererseits davon ab, ob in Ehen mit andersnationalen Partnern gelebt wird. In diesen werden oftmals beide Sprachen, aber oft auch nur die Sprache des andersnationalen Partners als Muttersprache – und Deutsch als Zweitsprache – gesprochen.“
Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), geb. 1951, Hermannstadt/Sibiu, Rumänien
Deutsch für alle - Deutschunterricht in Rumänien
Das deutsche Schulwesen verfügt in Rumänien über gewachsene Strukturen, die bis ins Mittelalter zurückreichen. Das Angebot von Unterricht in deutscher Sprache wird auch von der Mehrheitsgesellschaft gerne angenommen.
Im Schuljahr 2014/2015 wurden 251 deutschsprachige Gruppen in Kindergartengruppen von über 6.000 Kindern besucht, etwa 17.000 Schülerinnen und Schüler lernten auf Deutsch in 84 Schulen im gesamten Land. Heute geben etwa 90 Prozent der Schüler an deutschen Schulen Rumänisch als Muttersprache an, fünf Prozent Deutsch, die übrigen vor allem Ungarisch.
Die berühmtesten deutschen Schulen in Siebenbürgen sind das Samuel von-Brukenthal-Gymnasium (1380 erstmals urkundlich erwähnt) in Hermannstadt/Sibiu, das Honterus-Gymasium in Kronstadt/Braşov (1541 erste Erwähnung) und die Bergschule (1522 erstmals urkundlich erwähnt) –offiziell Josef-Haltrich-Lyzeum – in Schäßburg/Sighişoara. Die wichtigste Schule im Banat, dem Siedlungsgebiet der Banater Schwaben, ist das Nikolaus-Lenau-Lyzeum (gegründet 1870) in Temeswar/Timişoara. Die Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca ist die einzige dreisprachige Hochschule in Südosteuropa. Hier wird auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch gelehrt.