Geschichte der Deutschen im heutigen Russland

Bereits im Moskauer Reich im 15. Jahrhundert folgten Deutsche der Einladung der Zaren zur Ansiedlung nach Russland. Die Deutschen wirkten beim Aufbau einer regulären russischen Armee, der Gründung und Funktion einer Reihe von Bildungseinrichtungen, der Modernisierung der Wirtschaft und der Entwicklung der russischen Wissenschaft und Kultur mit. Ab der Regentschaft der Zarin Katharina II. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden bis in die 1870er Jahre hunderttausende Deutsche in Russland angesiedelt. Deutsche Siedlungen entstanden in verschiedenen Regionen des Russischen Reiches (Wolgagebiet, nördliches Schwarzmeergebiet und bei St. Petersburg).

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Deutschen im Russischen Reich auf 1,79 Mio. Menschen. Bereits in den 1930er Jahren wurden Russlanddeutsche Opfer der stalinistischen „Säuberungen“, nach 1941 wurden sie auf Befehl Stalins nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion kollektiv in Regionen jenseits des Urals deportiert – vor allem nach Sibirien und Kasachstan. Nahezu die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung wurde in den Kriegsjahren zur Zwangsarbeit in die sogenannte „Trudarmee“ eingezogen.

Die nach 1945 anhaltenden Repressionen gegen die Deutschen in der Sowjetunion führten einerseits zu einem Verlust von Deutschkenntnissen, andererseits zu einem Auswanderungsdruck.
Die folgende massenhafte Emigration nach Deutschland trug zu einem drastischen Rückgang der Bevölkerungszahl in der Sowjetunion maßgeblich bei. Die größte Auswanderungswelle erfolgte nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren.

Russland heute

Nach der Auswanderungswelle in den 1980/1990er Jahren leben noch etwa 500.000 Deutsche in Russland. Die Mehrheit von ihnen wohnt in Sibirien. Sie werden durch die russlandweite Selbstorganisation der Russlanddeutschen repräsentiert, der mehr als 550 Vereine und Einrichtungen angehören. Ihr Hauptanliegen ist die Konsolidierung, Erhaltung und Entwicklung der deutschen Minderheit in Russland.

Die Bundesregierung unterstützt die deutsche Minderheit in den Bereichen Kultur, Jugendarbeit, Bildung und Soziales. Jedes Jahr werden zahlreiche Aktivitäten, Projekte und Aktionen der deutschen Minderheit realisiert.

Auch die einzige landesweit erscheinende deutschsprachige Wochenzeitung, die Moskauer Deutsche Zeitung, hat ihren Ursprung in der deutschen Minderheit.
Die Regierungen Deutschlands und Russlands stimmen sich regelmäßig über Ziele und Schwerpunkte der Förderprogramme für die Russlanddeutschen ab.

Was empfinden Sie an sich selbst als „deutsch“ im täglichen Leben?

„Mir gefällt meine Ordentlichkeit. Die Ordnung muss überall sein: in der Arbeit, zuhause, in meinem Kopf, in der ehrenamtlichen Tätigkeit, in der Erholung. Eine gesunde Kritik ist auch ‚typisch deutsch‘ für mich. Wenn du ein Problem hast, musst du es von verschiedenen Perspektiven betrachten. Dann schaffst du es, eine gute Lösung zu finden.“

Waleria, geb. 1989, Moskau, Russland

Zum Diktat! - Erhalt der Muttersprache

Priorität in der Spracharbeit der Russlanddeutschen hat die frühkindliche Spracherziehung in Kindergärten und Begegnungszentren. Derzeit gibt es etwa 200 Kindergruppen in neun Regionen Russlands. Sie wurden mit Lehrmaterial vom Internationalen Verband der deutschen Kultur versorgt, z.B. mit dem Lehrwerk Deutsch mit Schrumdi, einer lustigen Handpuppe. Mal- und Bastelbögen, Spiele und eine Musik-CD mit deutschen Liedern tragen dazu bei, die Lust am Lernen spielerisch zu steigern.

Russlanddeutsche Schüler können an ethnokulturellen Sommersprachcamps in Deutschland teilnehmen. Seit 2009 gibt es den Wettbewerb Freunde der deutschen Sprache mit jeweils mehr als 2.000 Teilnehmern aus Russland, Kasachstan, Kirgistan, Weißrussland, Moldawien, der Ukraine und Deutschland.

An der Bildungsaktion Tolles Diktat zur Förderung korrekter deutscher Rechtschreibung nehmen jährlich über 25000 Teilnehmern aus den meisten GUS-Staaten und einigen EU-Länder (Deutschland, Spanien, Serbien, den Niederlanden etc.) teil. 2017 wurde erstmals ein Live-Stream des Tollen Diktats auf dem YouTube-Kanal RusDeutsch organisiert. Nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer und Professoren, die ihr Wissen testen wollen, nahmen an der Aktion teil.

Zukunft trifft Vergangenheit - Generationen verbinden

Deutsche Vereine in den Gebieten Omsk und Samara sowie aus der Stadt Toljatti geben ein lebendiges Bild dessen, was deutsche Traditionspflege und modernes Leben als Russlanddeutsche heute bedeutet. Bei ihren Zusammenkünften im Vereinsheim oder auch zuhause werden traditionelle Speisen wie Riwwelkuchen, Strudel und Waffeln zubereitet. Das Chorsingen oder die gemeinsame Andacht in deutscher Sprache verbinden die Generationen. Es ist selbstverständlich, Ostern, Advent und Weihnachten zu feiern. Die meisten Vereinigungen haben eine aktive Jugendorganisation, die sich mithilfe neuer Medien über ihre deutsche Identität verständigt.

Die Bindung an die Großelterngeneration spielt eine wichtige Rolle.

Kunst, Kostüme und Kommerz - Förderung von Kultur und Wirtschaft

Seit 2010 wirkt die Künstlervereinigung der Russlanddeutschen (KVRD) als Dachorganisation für Vereine der bildenden Kunst, Literatur, Musik, Theater, Tanz, Fotografie und anderen kulturellen Kreativ-Vereinen.

Beim Wettbewerb Russlands herausragende Deutsche werden deutsche Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich in den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Bildung, ziviles Engagement und Sport hervorgetan haben. Die Gewinner in diesen Kategorien werden per Online-Abstimmung ermittelt.

Zur Erinnerung an die deutschstämmige Zarin Katharina II. (die Große) organisiert die deutsche Minderheit seit 2014 Kostümfeste im Museumspark Zarizyno in Moskau.

Der Große Katharinenball führt Russlanddeutsche und Russen zusammen, denn die bedeutende Herrscherin stellt eine Integrationsfigur für beide Gruppen dar.

Seit 2016 veranstalten die Russlanddeutsche deutsch-russische Kultur- und Geschäftsforen Made by Deutschen in Russland, die sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen sowie an Wirtschaftspolitiker richten. Diese werden jährlich am Rande der Sitzung der Deutsch-Russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen ausgerichtet.

Familientreffen - Tätigkeiten der Jugendorganisationen

Jugendliche der russlanddeutschen Minderheit können sich beim Jugendring der Russlanddeutschen (JdR) engagieren. Zurzeit vereinigt der JdR über 50 Jugendorganisationen und -clubs der Russlanddeutschen in 35 Regionen Russlands. Dort pflegen sie Kontakte nach Deutschland und zu deutschen Jugendverbänden in anderen GUS-Staaten. Gemeinsam mit dem Jugend- und Studentenring der Deutschen aus Russland und anderen Partnern aus Deutschland werden zahlreiche Projekte zur Unterstützung von Jugendinitiativen realisiert. Die Jugendlichen sind aktiv im Sport und in der unternehmerischen Welt. Sie popularisieren die deutsche Sprache mithilfe neuer Medien, blicken zuversichtlich in die Zukunft, vergessen aber auch nicht die Vergangenheit.

Jährlich finden solche Partnerprojekte wie die Kultur- und Sportakademie, das Internationale Lager für junge Russlanddeutsche aus Russland und Deutschland, das Kulturhistorische Seminar und andere statt. Beliebt sind auch die sogenannten Familientreffen, die dem Dialog zwischen den Generationen dienen: Beim Kontakt zu älteren Menschen machen sich die Jugendlichen mit Sprache, Geschichte und Brauchtum der deutschen Minderheit vertraut.

Digitale Geschichte - Aufarbeitung des Kulturerbes

Der Internationale Verband der deutschen Kultur und die Internationale Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen organisierten in den vergangenen Jahren ethnologische Feldforschungen und Oral History Projekte, bei denen Vertreter der älteren Generation befragt wurden. Sprichwörter, Bräuche, Dialekte und Sachzeugnisse wurden sorgfältig dokumentiert; es entstanden Bücher, Filme, Inventare und andere Datenbanken sowie kontinuierlich erweiterte Internetauftritte. Seit 2005 besteht eine Online-Bibliothek mit derzeit etwa 7.000 Titeln.

Die Sammlungen und Heimatmuseen, welche der deutschen Volksgruppe oder einzelnen Persönlichkeiten gewidmet sind, werden seit 2010 auf der Webseite des Online-Museums der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen (www.rusdeutsch.eu) präsentiert. 2012 wurde mit der Erstellung eines Online-Registers der ehemaligen und noch bestehenden deutschen Siedlungen Russlands begonnen. Inzwischen sind im Register die wichtigsten Regionen (das Wolga-Gebiet, die Region Altai sowie die Gebiete Omsk und Orenburg) erfasst.