Geschichte der Deutschen in der heutigen Ukraine
Die Region liegt zwischen der Europäischen Union im Westen und Russland im Osten. Sie war von beiden Weltkriegen stark betroffen, die Grenzverläufe wechselten häufig. Der Westen des Gebietes gehörte bis zu den Teilungen Polens zur Polnisch-Litauischen Union, danach zu Österreich, der Osten zu Russland.
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten auf dem Territorium der heutigen Ukraine etwa 880.000 ethnische Deutsche, vor allem in Wolhynien, Ostgalizien, in der Karpatenukraine (Transkarpatien), der Nordbukowina, Südbessarabien sowie im Schwarzmeergebiet.
Im Zweiten Weltkrieg war die deutsche Minderheit in der Ukraine schwer von Umsiedlungen, Flucht, Vertreibung oder Deportationen betroffen. Zunächst wurden 1940, auf der Grundlage des Hitler-Stalin-Paktes (= Molotow-Ribbentrop-Pakt) von 1939, die Mehrheit der Deutschen der Bukowina (heutiges Gebiet Czernowitz), Bessarabiens, Wolhyniens und Ostgaliziens in die 1939 eroberten Ostgebiete Deutschlands zwangsumgesiedelt.
Ab August 1941 folgte die Deportation von etwa einer halben Million Deutschen aus der östlichen und südlichen Ukraine in die zentralasiatische Steppe, vor allem in das Gebiet des heutigen Kasachstans. Gut ein Drittel dieser Deportierten verstarb an den Folgen von Hunger, Kälte und der schweren Arbeit in der sogenannten „Trudarmee“ (einer militarisierten Form von Zwangsarbeit) oder verschwand in Gefängnissen. Vom Oktober 1941 bis Ende 1943 „evakuierte“ die Wehrmacht nochmals fast 350.000 Schwarzmeerdeutsche in deutsche Reichsgebiete. Aus Deutschland „repatriierte“ die UdSSR 1945 – 1947 etwa 300.000 ethnische Deutsche wieder und verteilte sie auf Sondersiedlungen, vor allem in Asien. Dabei war es ihnen per Gesetz untersagt, sich wieder in ihren ursprünglichen Heimatorten, aus denen sie umgesiedelt bzw. deportiert worden waren, anzusiedeln. Dieses Ansiedlungsverbot wurde erst 1972 aufgehoben.
Geschichte der Deutschen in der Ukraine
Ukraine heute
Gemäß der Volkszählung von 2001 leben etwa 33.000 Deutsche in der Ukraine, hier überwiegend in der Ost- und Südukraine. Etwa 5.000 leben im Gebiet Donezk, 9.000 in Dnipro, Saporischja, Charkiw und Luhansk, 8.000 in der autonomen Republik Krim, in Odessa, Mykolajiw und Cherson. Im westlichen Gebiet Transkarpatiens wohnen rund 3.500, im Norden – in der Region Kiew – etwa 1.600 Angehörige der deutschen Minderheit. Der Rest verteilt sich über die gesamte Ukraine.
Aktuell sind dort über 140 Organisationen der deutschen Minderheit registriert. Die Mehrheit der deutschstämmigen Ukrainer wird vom zentralen Dachverband, dem Rat der Deutschen der Ukraine (RDU), repräsentiert. In mehr als 60 ukrainischen Städten und Dörfern gibt es deutsche Kulturzentren, sogenannte Begegnungszentren (BZ). Dort finden Sprachkurse sowie kulturelle Veranstaltungen statt.
Nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Konflikt im Osten der Ukraine engagiert sich die deutsche Minderheit bei der Unterstützung von ukrainischen Binnenflüchtlingen. Sie führt humanitäre und soziale Projekte durch und versucht so, vor allem auch im Bewusstsein des eigenen schweren Schicksals während und nach dem Zweiten Weltkrieg, dazu beizutragen, dass der Konflikt auf friedliche Weise überwunden wird.
Die Angehörigen der deutschen Minderheit sehen sich als Bindeglied zwischen der Ukraine und Deutschland. Die engen politischen Kontakte zu Deutschland zeigen sich beispielhaft an der Mitwirkung von Vertretern des RDU in der Deutsch-Ukrainischen Regierungskommission für Angelegenheiten der in der Ukraine lebenden Personen deutscher Abstammung.
Ukraine heute
Inwiefern profitieren Sie von der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen?
„Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen verzeichnet in der Ukraine dreizehn Minderheitensprachen. Insgesamt gibt es in der Ukraine 134 ethnische Minderheiten. Dank dieser Charta genießen die dreizehn darin verzeichneten Gruppen seitens der Landesregierung eine gewisse Priorität gegenüber den übrigen.“
Leysle Volodymyr, Mitglied im Rat der Deutschen der Ukraine,
geb. 1981, Ukraine
Tanz und Theater
Das deutschsprachige Theater Bukowiner Phönix und die Kiewer Tanz- und Gesangsgruppe Deutsche Quelle sind landesweit bekannte Ensembles. Die Amateur-Theatergruppe Bukowiner Phönix wurde 1998 in Tscherniwzi/Czernowitz von der österreichisch-deutschen Gesellschaft Wiedergeburt gegründet.
1999 wurde das Volkstheater des deutschen Tanzes Deutsche Quelle ins Leben gerufen. Das Repertoire besteht aus deutschen Volkstänzen wie dem Bierbrauertanz oder dem Winzertanz. Das Ensemble wurde mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet.
Bezeichnen Sie als „Heimat“ eher ein Dorf, eine Region, eine Stadt, einen Sprachraum oder die Religion?
„Für viele Deutsche in der Ukraine bedeutet ‚Heimat‘ vor allem europäische Werte wie Menschen- und Minderheitenrechte.“
Leysle Volodymyr, Mitglied im Rat der Deutschen der Ukraine,
geb. 1981, Ukraine
Sprachkurse ganz zeitgemäß
Im Rahmen eines Pilotprojekts nahmen im Jahr 2016 Deutsche aus der Ostukraine an einem Online-Deutschkurs teil.
Ein weiteres Bildungsprojekt ist die Schule der Avantgarde. Es bietet deutschsprachigen Historikern, Pädagogen oder Künstlern ein Forum, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie die Geschichte der deutschen Minderheit in der ukrainischen Gesellschaft bekannter gemacht werden kann.
Prominente Persönlichkeiten
Prominente ukrainische Persönlichkeiten deutscher Abstammung aus Kultur, Unterhaltung, Politik und Wirtschaft sind die Fernsehmoderatorin Olga Freimut, der Crossover-Musiker und Sänger Ivan Dorn, der Manager und deutsche Honorarkonsul Alexander Schlamp, der Musiker und Komponist Andrej Pracht, die Abgeordnete Iryna Fris, die Historikerin und Filmautorin Elwira Plesskaja und der Maler Harry Ruff.